Im Rahmen unseres Lesekreises Poststrukturalismus, Gender-Theory, Psychoanalyse setzen wir uns am 7. November in drei Impulsvorträgen mit Randgängen der Philosophie auseinander.

 

Donnerstag, 7. November, 19:00-21:30, HS 2G NIG

 

Jonas Oßwald: Normalisierung und Kontrolle in der akademischen Philosophie

 

Die akademische Philosophie hat seit 1945 eine Homogenisierung erfahren, die als eine diskursive Kolonisierung durch die analytische Philosophie verstanden werden kann. Diese Kolonisierung führt zum othering nicht-analytischer Diskurse als kontinentale Philosophie wie auch zur Normalisierung der Disziplin nach analytischem Vorbild. Während die analytische Philosophie als Modell für diese anhaltende Normalisierung dient, ist sie auch selbst das Produkt einer Normalisierung, die in den USA während des McCarthyismus stattfand und zur Anpassung des analytischen Mainstreams an die ideologischen Erfordernisse des Kalten Krieges führte. Als historisches Ergebnis dieses Prozesses kann der analytische Mainstream genealogisch als majoritäre Philosophie der Gegenwart definiert werden. Die wichtigsten Normalisierungstechniken der akademischen Philosophie, wie prepublication peer review und quantifizierende Forschungsevaluierung, erweisen sich machttheoretisch als eine strategisch kohärente Intensivierung disziplinärer Machttechniken. Diese Techniken zielen in erster Linie darauf ab, die Kosten intellektueller Arbeit zu senken, Forschung zu kontrollieren, den quantifizierbaren Forschungsoutput zu steigern und die relative Autonomie der Forschenden zu brechen.

 

 

Ulrike Kadi: Hat Psychoanalyse etwas mit Denken zu tun?

 

Manchen Psychoanalytiker*innen gilt das Denken als eine anzustrebende,notwendige Funktion. Thomas Ogden (2010) etwa beschreibt drei psychoanalytisch relevante Formen: magisches Denken, Traumdenken und transformatives Denken. Die Denkfähigkeit kann beeinträchtigt sein: Mit dem operationalen Denken (Marty, de M’Uzan 1963/1978) ist eine defiziente Form des Denkens angesprochen, die ihre Entdecker vor allem bei psychosomatisch Erkrankten zu beobachten meinten. In der Psychoanalyse finden sich aber auch denkkritische Ansätze, wenn Jacques Lacan (1974/2016) das Denken damit gleichsetzt, „dass Wörter gewisse dumme Vorstellungen in den Körper einführen“. Ist es ein spezielles Denken, das die Psychoanalyse kennzeichnet? Oder ist es eine spezielle Form der Psychoanalyse, die sich mit dem Denken einlassen will?

  

 

Arno Böhler: Kunst basiertes Philosophieren

 

Nach 2000 Jahren Inkubationszeit ist die sokratische Form des Philosophierens für Nietzsche in der Europäischen Moderne zum Standardmodell des akademischen Philosophierens geworden. Philosophie wurde Sprachphilosophie, die sich durch das dialektische, argumentative Durchsprechen von sprachlich artikulierten Positionen auszeichnet, die schließlich auf ihre (logische) Konsistenz und Dichotomien hin überprüft werden. Schon in der griechischen Antike hat sich diese platonisch-sokratische Episteme gegen die mythische (narrative) Form des Philosophierens gewendet, die schließlich zum Ausschluss der Künste aus dem idealen Staat geführt hatte. Das Verhältnis von Mythos, Kunst und Philosophie ist seither antagonistisch. Mit Nietzsches Forderung nach einer „Umkehr des Platonismus“ hat er im 19. Jhd. selbst eine neue post-sokratische und post-platonische Epoche des Philosophierens eingeläutet, in der den Künsten neuerlich eine führende Rolle in Hinblick auf künftige Formen des Philosophierens eingeräumt worden sein wird. Philosophie wird nun wesentlich Ästhetik; sprich eine sensible Form des Denkens, in der sich ein ästhetisches Bild des Denkens (Deleuze) seinen Weg bahnt, die in Nietzsches Figur der Künstler-Philosoph:in gipfelt, die er in Jenseits von Gut und Böse kommen sieht: Philosoph:innen der Zukunft, die sich durch ihren „umgekehrten Hang und Geschmack“ von ihren Ahnen unterscheiden. Die ästhetische Revolution einer sensiblen Form des Denkens, die Nietzsche im Sinn hatte und in der Tat kommen sah, geht folglich Hand in Hand mit einer Umkehr unseres ästhetischen Sinns. Um nicht zu sagen, mit einer Revolution unserer Herzen.